1. Stadtwandel und Wandelstadt:
Wege zu einer neuen urbanen Kultur

Im Nachgang der Digital-Konferenz vom 5. Mai 2021 bildete sich eine Arbeitsgruppe, die für das o.g. Thema Handlungsempfehlungen erarbeitete und formulierte. Diese können Sie unter folgendem Link lesen:

Handlungsempfehlung der Arbeitsgruppe “Stadtwandel und Wandelstadt”

Alle Texte und Materialien zur Digitalkonferenz vom 5. Mai 2021 finden Sie ab hier:

Die Corona-Hilfsprogramme der Landesregierung und auch der Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP für 2017-2022 zeugen von einer neuen Wertschätzung des Kulturlebens. Hatte man früher oft den Eindruck, dass der Kulturetat des Landes vor allem als Ressource für Einsparungen gesehen wird, so erkennt man nun eine neue Wertschätzung des Kulturlebens. Es ist in der politischen Sicht systemrelevant, d.h. gesellschaftsrelevant geworden. Es steht sehr zu befürchten, dass als Auswirkung der Coronakrise die kommunalen Kulturhaushalte unter schweren Druck geraten und stark gekürzt werden. Dem muss, auch vorgreifend, begegnet werden. Das Vorgehen in der Krise entsteht mehr und mehr im partnerschaftlichen Dialog. Doch diese auch finanzielle Wertschätzung wird manchen Akteuren nicht gerecht. Das Leben der kulturellen Vielfalt findet nur unzureichend Zugang zur öffentlichen Förderung, die Migrationskulturen steht sogar oft außen vor.

Das Gleiche gilt für die neuen urbanen Kulturen. Sie entziehen sich oft den Gliederungen der Verbände, sie haben keine routinierte politische Lobby und so finden sie in der Kulturpolitik zu wenig Berücksichtigung. Wenn sie gefördert werden, dann in der Regel von Kommunen. Diese und insbesondere die Arbeit ihrer Kulturämter müssen gestärkt werden. Das Themenfeld hat eine Schnittgrenze zu Design, Gaming, neuen darstellenden Formen, Kunstpädagogik, neuen Veranstaltungsbereichen und der Kreativwirtschaft insgesamt. Zudem stellt man in der Krise fest, dass die Kultur-Topographie Einrichtungen in markwirtschaftlich freier Trägerschaft enthält, die wichtig sind und in große Probleme geraten.

Fokussieren Kulturpolitik und Kulturförderung zu sehr auf die Kategorisierung der Künstlersozialkasse? Diese Kategorisierung sollte auf ihre Unterschiede zum EU-Kulturbegriff geprüft werden. 
Das für NRW geplante Kulturgesetzbuch sieht eine Kopplung von Landesförderung an kommunales Engagement vor. Das ist zu begrüßen, doch auch in Hinsicht der kommunalen Realität zu prüfen. Wie können Land NRW und Kommunen in der Kulturförderung durch das Kulturgesetzbuch intelligent verbunden werden?

Thesen

Bierwirth

Anja Bierwirth
Wuppertal Institut

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Nachhaltigkeit und Kultur – speziell ökologische Nachhaltigkeit – passt das zusammen? Ist nicht gerade Kultur eben nicht ökologisch, sondern verschwenderisch? Ja, schon, aber…
Sicher gibt es in kulturellen Bereichen viele Möglichkeiten, um nachhaltiger zu werden: Aufbauten auf einer Bühne oder in einem Filmstudio, die nach der Aufführung oder dem Dreh verschrottet werden, Materialien für Kunstwerke, die Ressourcen verbrauchen, ohne dies groß zu hinterfragen, Energieverbrauch in den Theatern, Opernhäusern oder Museen unserer Städte – all dies sind Ansatzpunkte, an denen man im Sinne der Nachhaltigkeit nachbessern kann.
Kultur kann aber nicht nur an und bei sich selbst arbeiten. Sie kann für eine „Kultur der Nachhaltigkeit“ an vielen anderen Stellen mitwirken.

  • Kommunikation in die Breite
    Kunst und Kultur haben ein breites und diverses Publikum. Die Kommunikation von Wissenschaft findet zwar teilweise auch in der Öffentlichkeit statt, wird aber in die Breite eher über mediale Berichterstattung transportiert. Kultur kann ein anderer Weg zur Kommunikation sein. Sie kann Themen der Nachhaltigkeit erlebbar machen: durch die Gestaltung und Öffnung kultureller Einrichtungen für viele, sie kann selbst im öffentlichen Raum außerhalb der für sie vorgesehenen Bauten stattfinden, sie kann junge Menschen über Kooperationen mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen erreichen und vieles mehr.
  • Kommunikation auf emotionaler Ebene
    Die oft eher trockene, sachlich bis langweilig oder komplex bis kompliziert und wenig allgemeinverständliche Kommunikation der Wissenschaft kann Kultur in eine andere „Sprache“ übersetzen. Kultur kommuniziert auf einer emotionalen Ebene, sie bewegt, rüttelt auf, erntet Begeisterung ebenso wie Widerspruch und regt so Diskurse an. Kultur darf polarisieren, überspitzen, dramatisieren. Sie darf damit etwas, das von Seiten der Wissenschaft nicht glaubwürdig oder seriös ist und mehr Schaden als Nutzen hätte.
  • Gestaltung von Nachhaltigkeit
    Die breite Thematik der Nachhaltigkeit wurde von den Vereinten Nationen durch die 17 Sustainable Development Goals (SDG) definiert. Und doch bleiben es letztlich Worte, Themen und Zielsetzungen, die in ihrer Breite, mit ihren Schnittmengen, Synergien und auch Zielkonflikten abstrakt wirken. Kunst und Kultur sind in der Lage, Themen in visuelle, auditive und/ oder haptische Werke zu fassen und damit erfahrbar und erlebbar zu machen.
  • Nachhaltigkeit Gestalt geben, z.B. in urbanen Räumen
    Kultur kann eine nachhaltige Entwicklung unserer Städte und Regionen mitgestalten. Dafür braucht es Kooperationen und das Zusammendenken von Wissenschaft und Kultur – nicht nur gedanklich, sondern auch fördertechnisch.
 
 
Schneider-Bönninger_Foto_GiacomoZucca-Bundesstadt-Bonn

Birgit Schneider-Bönninger
Sport- und Kulturdezernentin der Bundesstadt Bonn

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Bonn als UN-Stadt mit Sitz des Klimasekretariats hat die besondere Mission, nachhaltige Zukünfte in Bewegung zu bringen und die kulturelle Stadtentwicklung voranzutreiben. Die Kulturlandschaft steht in der krisengeprägten Gegenwartslage vor ihrer schöpferischen Erneuerung.

Voraussetzung für einen grundlegenden Wandel ist eine kreative Governance, die sich als Utopienschmiede und Diskursmotor aufstellt, ressortübergreifend agiert, eine kollektive Verantwortung für Kultur mobilisiert und damit auch Förderoptionen ausweitet. Mit der Innovationsformel „AKTE“ (A=Agilität, K=Kollaboration,T=Transformation, E=Experiment) wird Kulturverwaltung zum Treiber für Synergien und zum Anstifter kreativer Kollisionen.

In der Wandelstadt Bonn schmieden Verwaltung, Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft strategische Allianzen und beflügeln eine Gründerstimmung („Alle für Kultur!“):

  • Neue WIR-Kultur: In der „ZukunftsArena Sport und Kultur“ praktizieren Sportler*innen und Künstler*innen ein starkes Miteinander, erobern zusammen den öffentlichen Raum (OpernRasen!), verwandeln Schwimmhallen in Kulturbäder (In Kunst schwimmen) und Museen in Bewegungsräume (The Art of Yoga).
  • Neue Solidarkultur: Freie Szene und städtische Kultureinrichtungen gehen neue (strukturelle) Verbindungen ein und gründen gemeinsame Produktionsstätten (Freiluftbühnen, Machbarkeitsstudios, Denkfabriken).
  • Neue Wissenskultur: Die Universität Bonn (Abteilung Kulturanthropologie) agiert als Co-Creator für das künftige Stadtmuseum und transferiert urbane Identitäten in das kollektive Gedächtnis (#makemuseum).
  • Neue Klimakultur: Unter dem Dach eines interdisziplinären Klimakunstlabors (Artainable) werden betriebsökologische Maßnahmen initiiert sowie lokale und interkommunale Klima-Kunst-Projekte umgesetzt.
  • Mündige Digitalkultur: Im Bonner FutureLab bewegen sich Forscher*innen, Künstler*innen und Bürger*innen in digital-analogen Welten, erproben neue Technologien und reflektieren ethische Fragen.
  • Neue Urbanität: Die enge Verzahnung von Stadtplanung und Kulturpolitik ermöglicht urbane Mischungen und hybride Übergangsräume. Aus Brachen werden Sehnsuchtsorte, aus Plätzen und Dächern urbane Gemeinschaftsgärten, aus Museen und Theatern Open Spaces (Grüne Oper für Demokratie), aus Kaufhäusern kreative Brutstätten: Möglichkeitsräume für Menschen aus allen Kulturkreisen, Milieus und Generationen.

Die „nächste“ Kulturstadt ist ein großes Reallabor für hoffnungsvolle Zukunftsnarrative und Trainingslager für kulturelle Demokratie.