2. Unterstützungsstrukturen für Kultur in der Fläche
Im Nachgang der ersten Konferenz vom 5. Mai 2021 bildete sich eine Arbeitsgruppe, die für das o.g. Thema Handlungsempfehlungen erarbeitete und formulierte. Diese können Sie unter folgendem Link lesen:
Handlungsempfehlung der Arbeitsgruppe “Kultur in der Fläche”
Alle Texte und Materialien zur Digitalkonferenz vom 5. Mai 2021 finden Sie ab hier:
Neben den Kirchen und dem Sport bildet das Kulturleben im ländlichen Raum die wichtigsten Identifikationsformen der Gesellschaft. Ohne aktives Kulturleben verlieren die Menschen ihre Bindungen an ihre Region und folgen nicht selten wirtschaftlichen Anziehungspunkten in die Städte. Doch dieses Kulturleben im ländlichen Raum erodiert. Neben der Ressource der Kulturförderung schwindet auch die wichtigste Ressource, die des ehrenamtlichen Engagements. Eine nachhaltige Kulturpolitik wird hier gegenhalten müssen. Welche neuen Kooperationen können geschmiedet werden, die schwächere Stätten stärken und Synergien schaffen? Wie kann Kulturförderung Anreize setzen, das Kulturleben vor Ort weiterzuentwickeln? Welche Chancen birgt die Digitalisierung für die Optimierung der Angebote und die Zielgruppenerreichung im ländlichen Raum? Muss eine Kulturpolitik für die Großstadt getrennt gesehen werden von der für das Umland oder birgt eine stärkere Verzahnung neue Chancen?
Thesen
- Die ländlichen Regionen verlieren ohne eine aktive Kulturpolitik an Bindungskraft.
- Es reicht nicht, neue Dritte Orte zu definieren und übergangsweise zu fördern. Es benötigt kontinuierliche und strukturelle Stärkung der Stätten, und Foren samt ihren ehrenamtlichen Netzwerken.
- Die Akteure müssen mit den Zielgruppen gemeinsam neue Veranstaltungsformate entwickeln.
Samo Darian
Programmleiter TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel.
Eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes
Was macht die Kultur auf dem Land (aus)?
Ländliche Räume sind geprägt durch ein besonderes Verhältnis zwischen professionellen Kulturanbietern und Amateuren. Im Gegensatz zu urbanen Zentren gibt es hier weniger Theater, Galerien oder Opernhäuser, dafür aber viele Amateurtheater, Chöre, Initiativen oder Heimatvereine. (vgl. Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“). Dieser Unterschied ist nicht nur eine statistische Größenordnung. Vielmehr ist die Gestaltung dieses besonderen Verhältnisses eine zentrale Aufgabe der Kulturakteure und der Kulturförderung ländlicher Räume in Zukunft. Hierfür bedarf es eines gemeinsamen, ggf. neuen Verständnisses von Teilhabe und von der Zusammenarbeit von hauptamtlichen Akteuren und ehrenamtlichem Engagement auf Augenhöhe.
Neben die Projekt- und Produktionsförderung kann eine Prozessförderung gestellt werden, die Veränderungsprozesse in den Regionen unterstützt. Eine solche Förderung regionaler Transformationsprozesse setzt an den Stärken einer Region an, fördert die Entwicklung dauerhafter Allianzen, ermöglicht Erprobungen, Reflektion und Prozessbegleitung, schafft eine Sichtbarkeit für die Kulturakteure und Kulturthemen der Region und misst ihren Erfolg anhand der erzielten Wirkungen.
Lebendige Kulturorte und Gelegenheiten für Begegnungen sind auch in ländlichen Regionen zentral. Diese zu schaffen kann auch Aufgabe der öffentlichen Kultureinrichtungen in ländlichen Räumen sein. Oftmals entstehen sie nicht nur aus den Angeboten der Kultureinrichtungen für bestimmte Zielgruppen, sondern in gemeinsamer Arbeit und Verantwortung mit Amateuren, Vereinen und Initiativen. Hierfür bedarf es einer Öffnung der Kulturinstitutionen, sich dieser neuen Aufgabe und neuer Arbeitsweisen anzunehmen, und geeigneter Förderstrukturen.
Aus dem zentrale-Orte-Prinzip und der Verteilung öffentlicher Fördermittel zwischen Stadt und Land (die Kulturausgaben pro Kopf liegen in großen Städte über 500.000 Einwohnern jährlich bei 151 Euro, in Gemeinden unter 3.000 Einwohnern bei 5 Euro, vgl. Kulturfinanzbericht) lässt sich eine Verantwortung städtischer Kultureinrichtungen für die sie umgebenden Regionen ableiten. Aufgabe städtischer Kultureinrichtungen kann es daher sein, Kulturangebote in den Regionen mit zu gestalten. Neben Gastspielen in die Region und einer verbesserten Mobilität hin zur Institution geht es dabei vor allem um Angebote, die gemeinsam mit den Menschen in der Region entwickelt werden. Auch hierfür bedarf es einer Öffnung der Kulturinstitutionen und geeigneter Förderstrukturen.
Je kleiner der Ort und je ländlicher eine Region, umso weniger hauptamtliche Ansprechpartner gibt es, die sich um das Thema Kultur kümmern. Hier bedarf es einer Stärkung der Strukturen und der Förderung neuer Netzwerkstellen für die Kultur in den ländlichen Regionen, deren Hauptaufgabe es ist, die Kulturakteure einer Region untereinander sowie mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, wie Bildung, Soziales, Tourismus oder Regionalentwicklung zu vernetzen.
Christine Wingert
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kulturpolitischen Gesellschaft
- Kulturelle Infrastruktur in ländlichen Räumen I
Für eine fruchtbare Debatte über Kultur in ländlichen Räumen müssen wir uns zunächst darüber verständigen, über welche Kultur und welche ländlichen Räume wir sprechen. Gerade NRW hat sehr unterschiedlich aufgestellte ländliche Gebiete, von suburban bis peripher, von prosperierend bis schrumpfend. Wird die gesamte Fläche außerhalb der Metropolen in den Blick genommen, reden wir auch über große Mittelstädte wie Unna, Gütersloh, Iserlohn oder Detmold. Mit einem weiten Begriff von Ländlichkeit sind generelle Aussagen über die Lage der Kultur „in der Fläche“ schwierig. Statt einer Definition von „Ländlichkeit“ plädiere ich für eine Verständigung auf verschiedene Kategorien von „ländlichen Räumen“, über deren kulturelle Lage jeweils zu sprechen ist. - Kulturelle Infrastruktur in ländlichen Räumen II
Demgegenüber ist ein weiter Begriff von kultureller Infrastruktur hilfreich, denn er erfasst nicht nur die öffentlich geförderten Kultureinrichtungen, sondern die Breite des kulturellen Angebots in ländlichen Räumen einschließlich privatwirtschaftlicher und freigemeinnütziger Angebote wie die zahlreichen Heimatvereine, Museen, Chöre, Amateurtheater, Kulturfördervereine, Tanz-, Kunst- und Musikschulen. Ein Mapping all dieser Aktivitäten und Angebote macht sichtbar, dass es um das kulturelle Leben in den ländlichen Gebieten NRWs gar nicht so schlecht bestellt ist. - Unterstützungsstrukturen sind Teil der kulturellen Infrastruktur
Natürlich brauchen all diese Akteure Unterstützung: finanzielle Mittel, Beratung, Vernetzung, politische Wahrnehmung und Öffentlichkeit. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist NRW mit kulturfördernden Strukturen gut ausgestattet: den Landschaftsverbänden LVR und LWL, den Kultursekretariaten Gütersloh und Wuppertal und den neun Koordinierungsbüros der Regionalen Kulturpolitik. Letzteres ist ein bundesweit einzigartiges Förderprogramm, das aus meiner Sicht mehr Wertschätzung verdient, weil hiermit seit 25 Jahren regionale Strukturen gestärkt wurden und hochkarätige Kulturveranstaltungen, regelmäßige Festivals und kulturelle Netzwerke nachhaltig gefördert werden.
Dr. Yasmine Freigang
LWL-Kulturabteilung
- Die herkömmlichen Gebietskulissen zur Definition ländlicher Räume sind für NRW nicht geeignet. Förderer sollen deshalb andere oder weitere Kriterien/Bedingungen für ihre Förderprogramme entwickeln (z. B. Hauptamt – bürgerschaftliches Engagement verbinden, Kooperation Stadt – Land – Peripherie/Ortsteile einfordern).
- Verlässliche, sichere Kulturinfrastruktur I: Auch oder gerade ländliche Räume brauchen so genannte “Kulturkümmerer”, das meint hauptamtlich unbefristet angestellte Kulturmanager, die die bürgerschaftlich Engagierten beraten, vernetzen, unterstützen, koordinieren, informieren etc. und die als Schnittstellen fungieren – sowohl horizontal zu anderen Ressorts, aber auch vertikal zwischen den Ebenen. Das dient vor allem dazu, dass die Künstler:innen und Kulturschaffenden sich auf ihre inhaltliche Arbeit konzentrieren können und so nicht zuletzt auch hohe Qualität besser erreicht und sichtbar werden kann.
- Verlässliche, sichere Kulturinfrastruktur II: Den Landkreisen oder anderen größeren Körper-schaften in ländlichen Räumen kommt zunehmend mehr Verantwortung für die kulturelle Infrastruktur zu, da vor allem kleine Kommunen wenige bzw. zunehmend weniger personelle Ressourcen zur Verfügung stellen (können). Es ist Aufgabe von Kulturpolitiker:innen, sich damit auseinanderzusetzen und entsprechend Rechnung zu tragen.
- Die Landschaftsverbände haben im Geflecht der Kulturförderer und Kulturträger in NRW als Kommunalverbände eine besondere Verantwortung für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Mit ihren 32 Landesmuseen und vielfachen Service- und Unterstützungs-leistungen haben sie gerade für ländliche Räume großes Potenzial, was weiter auszubauen und bekannt zu machen ist.
- Es ist eine Frage der Haltung: Kunst und Kultur außerhalb von Großstädten und den so genannten Orchideen auf dem Land sind nicht per se schlecht bzw. von niederer Qualität, sondern zumeist ganz einfach anders – und gleich relevant.