Zusammenfassung der Konferenzergebnisse
vom 1. Dezember 2021
Den Kulturwandel groß denken – Anstöße für eine neue Kulturpolitik in NRW
Von Catalina Rojas Hauser
Die Notwendigkeit strukturellen Wandels in der Kulturpolitik stand im Zentrum der zweiten digitalen Tagung zur Zukunft der Kultur in Nordrhein-Westfalen 2021. Dazu hatte der Kulturrat NRW gemeinsam mit dem Städtetag NRW und den beiden Kultursekretariaten des Landes am 1. Dezember eingeladen. Das Besondere an der Arbeitsweise in Vorbereitung der Tagung war die inhaltliche Einbindung der Kulturverbände unter dem Dach des Kulturrats NRW sowie die basisnahe Gestaltung des gesamten Prozesses, das in der Formulierung konkreter Handlungsempfehlungen an die Landespolitik mündete. Im Nachgang der ersten Konferenz im Mai 2021 hatten sich zu allen behandelten Themenfeldern offene Arbeitsgruppen gebildet. Daran beteiligten sich Vertreterinnen und Vertreter aus Kultureinrichtungen, Kulturverwaltung sowie Akteurinnen und Akteure aus der Freien Szene über alle Sparten hinweg. So konnte viel praxisnahes und praxisbewährtes Fachwissen in die Forderungskataloge einfließen. Die auf diese Weise im Laufe des Jahres erarbeiteten Empfehlungen wurden dann in der Monitoring-Konferenz den ca. zweihundert Teilnehmenden präsentiert. Auch hier gab es noch Raum zur Diskussion per Video und Chat.
Die drängendsten Forderungen, die aus den beiden Konferenzen resultieren, betreffen 1. Das Kulturleben der Urbanität und der ländlichen Räume, 2. Die Begleitung der Kulturorganisationen zur Zukunftsfähigkeit, 3. Die Rahmenbedingungen für Kreative und Kulturschaffende der Freien Szene, 4. Die digitale Transformation von Kunst und Kultur sowie 5. Die Diversität von Kultureinrichtungen und Strukturen der freien Szene. Dieses breite Spektrum kulturpolitisch relevanter Themen wurde pointiert aufgefächert. Kern aller Forderungen ist die Erkenntnis, dass auch die Kulturpolitik sich den unausweichlichen Veränderungen stellen und anwendungsorientiert reformiert werden muss. Ideen und Expertise, diesen Prozess mit Leben zu füllen, sind reichlich vorhanden. Die Konferenzen könnten in diesem Sinne den Auftakt zu einem sinnvoll gestalteten kulturpolitischen Wandel – auch in anderen Bundesländern – bilden.
Doch die Transformation erfordert Unterstützung. Mit Geldmitteln, natürlich, aber auch durch die Entwicklung und Schaffung klug konzipierter neuer Strukturen. Konsens war, dass die Unterstützung durch eine stärker strukturell orientierte Landesförderung und auch durch Kompetenzvermittlung und Transfermanagement erfolgen soll. Anknüpfend an bestehende Strukturen sollten für die Bewältigung dieser neuen Aufgaben weitere Netzwerke und Kooperationen als dezentrale Qualifizierungs- und Kompetenzorte entstehen. Einzig im Bereich Diversität forderten die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer eine neue Einrichtung: Die Zentrale eines Netzwerks aus bereits arbeitenden Institutionen sollte über neue hauptamtliche Kräfte verfügen, die fachliche Ressourcen aus dem Netzwerk und einem Pool von Fachleuten bereitstellen sollen.
Wie stets bei einem Ruf nach Erneuerung, sind auch in diesem Fall die Forderungen an finanzielle Aufstockungen geknüpft. Denn für die Finanzierung all der Maßnahmen muss der Kulturhaushalt des Landes Nordrhein-Westfalen weiter ausgebaut werden. Anders lassen sie sich nicht realisieren. Konkret sollte der Kulturetat in der nächsten Legislaturperiode bis 2027 von 300 auf 600 Millionen Euro jährlich gesteigert werden. Quer durch alle angeregten Reformprozesse zeigt sich, dass es die Erfordernisse der Nachhaltigkeit, der Diversität und der Digitalisierung umzusetzen gilt. Allein dafür sind für die Kulturförderung jährlich zusätzlich mindestens 70 Millionen Euro notwendig. Da trifft es sich gut, dass gerade jetzt das Kulturgesetzbuch für NRW in Kraft tritt, das dafür eine geeignete Grundlage, einen Rahmen bietet. Es muss daher beim Wort genommen werden und auch im Hinblick auf die anstehenden strukturellen Veränderungen regelmäßig wieder auf den Tisch kommen.
Ein Schlüssel für die Handlungsfähigkeit der Kultur ist auch die Finanzierung der Kommunen. Denn diese verantworten in Nordrhein-Westfalen über achtzig Prozent des öffentlich getragenen Kulturgeschehens. Ein weiteres elementares Thema, das dringend, allerdings bundesweit, angegangen werden muss, ist die soziale wie wirtschaftliche Absicherung der solo-selbständigen Künstlerinnen und Künstler. Spätestens im Brennglas der Covid19-Pandemie ist auch einer breiteren Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträger*innen deutlich geworden, in welchen prekären Arbeitsverhältnissen Kulturschaffende leben. NRW-Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen hat mit Übernahme des Vorsitzes der Kulturministerkonferenz zum Januar bereits publik gemacht, sich insbesondere dieser Problematik annehmen zu wollen.
Nach Bündelung der Thesen und Vorschläge im Zuge der Monitoring-Tagung bestand das Ergebnis aus fünfzig Handlungsempfehlungen. Sie reichen zunächst von dem Ruf nach Investitionen der Landeskulturpolitik in längerfristige Prozesse über die Stärkung von Strukturen auf dem Land durch den Ausbau von Netzwerkknotenpunkten bis hin zur Vereinfachung von Förderverfahren für bürgerschaftlich Engagierte. Seitens des Städtetags NRW betonte Jörg Stüdemann, dass es wahrlich „gewaltige Veränderungsbedarfe gebe“.
Um die Kulturorganisationen selbst zukunftsfähig zu machen, bedarf es Kompetenzentwicklungsprogramme für Führungskräfte. Das Land sollte Beratungsstrukturen für Zuwendungsempfänger*innen stärken sowie die Entwicklung neuer Fördermechanismen unterstützen. Weitere Forderungen umfassen die Fortführung der Stipendienprogramme aus der Corona-Krise zu einer systematischen Graduiertenförderung, die Stärkung des Urheberrechts und, neben der bereits erwähnten sozialen Absicherung, grundsätzlich die auskömmliche Entlohnung künstlerischer Arbeit.
Im Bereich des Querschnittsthemas Digitalisierung ist der Bedarf an spezifischen Förderprogramme groß und nicht zuletzt aus den Erfahrungen der Pandemie heraus besonders dringlich. Ein wichtiges Stichwort ist hier auch der Wissenstransfer zur digitalen Transformation zwischen Gemeinden und Städten wie zwischen Institutionen und Hochschulen. Im Raum steht auch der Vorschlag, die Kulturpolitik in Nordrhein-Westfalen solle biennal eine internationale Konferenz zu Kunst und Kultur in der zunehmend digitaler ausgeprägten Gesellschaft ausrichten. Im Rahmen einer solchen Veranstaltung ließe sich der digitale Wandel facettenreich reflektieren und weiterdenken.
Mit Blick auf die gesellschaftlichen Umbrüche und der damit zusammenhängenden Relevanz der Kultur für eine stabile Demokratie, wie der Vorsitzende des Kulturrats NRW, Gerhart Baum, unterstrich, erfuhr auf beiden Tagungen auch das Thema Diversität eine große Resonanz. Konkret vorgeschlagen wurde die Bildung einer Netzwerk- bzw. Förderstelle Diversität NRW. Ziel dieser Stelle solle es sein, eine Kulturentwicklung auszugestalten, die der diversen Zusammensetzung der Gesellschaft entspricht. Dabei wirkt es fast schon gebetsmühlenartig, wenn als ein Ergebnis in diesem Themenfeld festgehalten wird, dass die Vielfalt der Gesellschaft sich in Programm, Personal, Publikum und niederschwelligen Zugängen zu allen Kultureinrichtungen und auch zu Organisationsformen der freien Szene widerspiegeln müsse.
Angesichts dieses umfangreichen Forderungskatalogs und der unweigerlich bevorstehenden Veränderungen ist gute Kommunikation und eine funktionierende Vernetzung der Kulturakteure von besonderer Bedeutung. „Wir müssen eine intensive Lobbyarbeit machen“, so Gerhart Baum in seinem Schlusswort. Denn spätestens ab 2023, wenn die Schuldenbremse greife, werde es schwierig. Ein guter Grundstein für diese wichtige Arbeit wurde in Form der detaillierten Handlungsempfehlungen unter Mitwirkung aller an der Tagung Beteiligten für die Kultur Nordrhein-Westfalens gelegt.